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Service Design Projekt

Gestaltung eines End-to-End Portals zum Beantragen, Korrigieren und Ausstellen von Aufenthaltstitel für das BMI

Projektübersicht

Herausforderung

Das deutsche Bundesministerium des Innern (BMI) gab den Auftrag, in nur sechs Monaten ein nationales Portal für Aufenthaltstitel zu entwickeln. Die bestehenden analogen Prozesse waren ineffizient, fehleranfällig und eine Belastung für Antragstellende und Behörden gleichermaßen.

Als UX Verantwortlicher des Projekts bestand meine zentrale,strategische Herausforderung darin, Nutzerfreundlichkeit in diesem zeitkritische Regierungsprojekt zu verankern. Ich musste schnell ein tiefes, evidenzbasiertes Verständnis für die Bedürfnisse aller Nutzendengruppen aufbauen. Nur so konnten wir sicherstellen, die richtigen Probleme zu lösen und das gesamte funktionsübergreifende Team auf einen wirkungsvollen aber auch wirkungsvollen MVP auszurichten.

Ziele
  • Die Durchlaufzeit von der Antragstellung bis zur Entscheidung für alle Beteiligten signifikant zuverkürzen

  • Ein positives, transparentes und nachvollziehbares Erlebnis für Antragstellende schaffen.

  • Eine einheitliche, skalierbare und barrierefreie Plattform für ganz Deutschland etablieren.

Probleme
  • Komplexe Prozesse und unverständliche Amtssprache, als hohe Zugangsbarrieren.

  • Bisherige 1:1-Digitalisierung von Papierprozessen.

  • Ein intransparenter Prozess, die hohen Support-Aufwand erzeugt

  • Hohe Fehlerquoten und Ineffizienz durch Medienbrüche und manuelle Datenübertragung.

Projektumfang
  • Service Design 

  • Contextual Inquiry

  • UX-Strategy 

  • Accessible Designing

  • Workshop Facilitation 

Dauer
  • Juni 2024 - November 2024

Rolle
  • Solo UX

Tools

Vorgehen

01.

Prozessanalyse

02.

Problemdefinition & Strategie

03.

Konzeption & Design

04.

Validierung & Iteration

05.

Implementierung

01. Prozessanalyse

Durch eine Contextual Inquiry wurden die realen Arbeitsabläufe und Systembrüche aufgedeckt. Diese Erkenntnisse wurden in einem As-Is-Service-Blueprint visualisiert, der als gemeinsame Datengrundlage für alle weiteren strategischen Entscheidungen diente.

Um eine evidenzbasierte Grundlage für das Projekt zu schaffen, bestand der erste Schritt in einer mehrtägigen Contextual Inquiry, die ich in der Ausländerbehörde Potsdam plante und leitete. Anstatt uns nur auf bestehende Anforderungs-dokumente zu verlassen, begleiteten wir Sachbearbeitende bei der Bearbeitung realer Fälle. So wurden die authentischen Arbeitsabläufe, informellen Workarounds und tatsächlichen Systembrüche ihres Arbeitsalltags systematisch dokumentiert.

Die gewonnenen qualitativen Daten wurden anschließend aufbereitet, um den unterschiedlichen Informationsbedürfnissen im Projekt gerecht zu werden. Ein umfassender Ist-Zustand-Service-Blueprint visualisierte die gesamte End-to-End-Reise und diente als zentrale, strategische Diskussionsgrundlage. Parallel dazu wurden alle detaillierten Notizen in geordneter Form bereitgestellt, um Fachexperten und anderen Interessierten eine tiefere Analyse der Details zu ermöglichen. Insbesondere der Blueprint etablierte sich schnell als zentrale “Single Source of Truth” und schuf damit die objektive Grundlage für die nachfolgende, zielgerichtete Problemanalyse.

Blueprint.jpg

02. Problemdefintion & Strategie

Auf Basis des Service Blueprints wurden die Painpoints gemappt, systematisch analysiert und mittels einer Heatmap klar herausgestellt. Darauf aufbauend entwickelte ich eine fokussierte Strategie, die sich auf die Behebung der Kernprobleme konzentriert, um den größten Mehrwert für Antragsstellende wie auch Sachbearbeitende zu schaffen.

Der erstellte Service Blueprint diente als direkte Grundlage, um die im Research identifizierten Pain Points auf der Prozesslandkarte zu verorten. Auf Basis von Dichte, Häufigkeit und Schwere dieser Probleme wurde eine Heatmap erstellt. Diese Methode visualisierte die kritischsten Problemzonen und schuf eine objektive, datengestützte Grundlage für die strategische Priorisierung.​ Die Analyse kristallisierte folgende Kernprobleme heraus:

1. Die Auswahl ungeeigneter Antragstypen aufgrund von Komplexität und unverständlicher Amtssprache.

2. Fehlende oder falsche Dokumente im Antrag, was zu Ineffizienz im Termin und wiederholten Behördengängen führte.

3. Aufgrund fehlender Status-Transparenz, entstand ein hohes Aufkommen an Rückfragen per E-Mail und Telefon seitens der Antragsstellenden

4. Auch die Sachbearbeitenden hatten keinen strukturierten Wege für Rückfragen, was den Kommunikationsaufwand zusätzlich erhöhte.

Blueprint + Heatmap.jpg

Statt uns im Detail zu verlieren, ermöglichte uns dieser datengestützte Ansatz ein klares Opportunity Framing. Wir beantworteten nicht die Frage ‘Was ist alles kaputt?’, sondern: ‘Wo erzielen wir mit gezielten Eingriffen die größte positive Wirkung?’ Dabei wurde bewusst die Entscheidung getroffen, die komplexe Probleme die juristische Analyse erforderten wie z.B. die Antragsauswahl auf eine spätere Phase zu verschieben, da dies sonst unseren Sechs-Monats-Zeitplan gefährdet hätte.  Das Ergebnis war eine klare, datengestützte Priorisierung der Handlungsfelder, die zur strategischen Grundlage für unser MVP-Konzept wurde.

03. Konzeption & Design

Nachdem die Strategie stand konnten für diesen Nutzen die ersten Screens erstellt werden. natürlich erst als Wireframe und danach immer präziser werdend. Es mussten eingeloggte Bereiche (Prozessablauf, Antragsstrecke) sowie nicht eingeloggte Bereiche (Startseite, Produktseiten etc.) erstellt werden für die Antragsstellenden, sowie ein komplexer Bereich für die Sachbearbeitenden für eine einfachere, effizientere und durchsichtigere Antragsvorprüfung - ein End to End Portal eben

Aufbauend auf der priorisierten Strategie entwickelte ich das “To-Be”-Konzept, das die identifizierten Kernprobleme durch gezielte Interventionen löst. Ein Wizzard stellt die korrekte Antragseignung sicher, während eine digitale, dynamische Antragsstrecke die Qualität der Einreichungen erhöht.

Ein besonderer Fokus lag auf der Effizienz für Sachbearbeitende: Ein zentrale Fachanwendung wurde konzipiert, das die Prüfung von Dokumenten, den Abgleich mit Registerdaten sowie das Anfordern fehlender Unterlagen mit minimalem Aufwand ermöglicht. Für Antragstellende sorgt ein persönliches Nutzerkonto für die nötige Prozesstransparenz. Die Umsetzung dieser strategischen Konzepte in detaillierte und barrierefreie Designs wird im Folgenden dargestellt.

3.1 Antragsstellenden Seiten

Das Design für die Antragstellenden-Sicht hatte den klaren Fokus auf Führung, Einfachheit und Transparenz. Ein geführter Antrags-Assistent eliminiert die Komplexität der Bürokratie und leitet Nutzer sicher zum korrekten Ziel. 

3.2 Sachbearbeitenden Seiten

Im Gegensatz zur öffentlichen Ansicht wurde die Fachanwendung für Sachbearbeitende konsequent auf Effizienz, fehlerfreie Aktionen und Informationsdichte optimiert. Dies unterstützt die Struktur den Arbeitsablauf “vom Überblick ins Detail”: Eine zentrale Fallübersicht ermöglicht die Priorisierung aller Anträge, während die Detailansicht eines Falls alle relevanten Informationen für eine effiziente Prüfung bündelt. Dazu gibt es spezialisierte Module, wie das für Nachforderungen, welche sind so konzipiert, dass komplexe Aktionen mit wenigen Klicks und minimalem Aufwand ausgeführt werden können.

Die Umsetzung der oben gezeigten Designs als konsistentes, qualitativ hochwertiges Produkt erforderte die Entwicklung von zwei dedizierten Designsystemen. In enger Zusammenarbeit mit dem verantwortlichen UI-Designer war ich am Aufbau dieser Systeme beteiligt. Die dabei gewonnenen, tiefen Einblicke in die Systemarchitektur in Figma waren nicht nur persönlich wertvoll, sondern schufen auch die Grundlage für die Skalierbarkeit des gesamten Produkts.

04. Validierung & Iteration

In einem dreistufigen Prozess wurde das Konzept mit Fachexperten und Sachbearbeitenden validiert, um die Prozesslogik, die Usability und abschließend Designdetails zu prüfen. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden direkt in Iterationsschleifen umgesetzt, um die Praxistauglichkeit des Endprodukts sicherzustellen 

Validierung der Prozesslogik

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In initialen Workshops mit erfahrenen Sachbearbeitenden wurde die grundlegende User Journey validiert. Ziel war es, sicherzustellen, dass die entworfene Prozess- und Prüflogik der komplexen Arbeitsrealität in den Behörden entspricht.

Anhand von frühen Wireframes testeten wir in einer zweiten Phase die grundlegende Usability des Systems. Der Fokus lag hier auf der Effizienz der Kern-Workflows und der intuitiven Navigation innerhalb der Fachanwendung.

usability-testing.png

Validierung der Usability

Feinschliff an den finalen Designs

logical-thinking.png

In einer letzten Runde wurden die finalen Mockups genutzt, um Details wie die Verständlichkeit der Terminologie, die Klarheit von Anweisungen und die visuelle Hierarchie zu überprüfen und zu optimieren.

Hero-Moment: Ursprünglich sah der Projektumfang keine Tests mit Antragstellenden vor, sondern nur die Validierung durch interne Fachexperten. Ich identifizierte dies als kritisches Projektrisiko und konnte die Projektleitung davon überzeugen, dass juristische Korrektheit sekundär ist, wenn Antragsstellende das Portal nicht verstehen. Denn dies würde zu fehlerhaften Anträgen und erhöhtem Supportaufkommen führen und somit unsere Kernziele untergraben. Indem ich einen pragmatischen, kostenfreien Testplan vorschlug, sicherte ich das nötige Buy-in, um unsere Entwürfe mit echten Nutzern zu validieren. 

05. Implementierung

Die Überführung der Konzepte in funktionierenden Code erfolgte in enger, iterativer Abstimmung mit den Entwicklungsteams. Als Designer im skalierten, agilen Prozessen nach Nexus, wobei ich mit mehreren Entwicklungsteams zusammenarbeite war es meine Hauptaufgabe, die Brücke zwischen der konzipierten User Experience und der technischen Machbarkeit zu schlagen.

Was gut funktionierte: Das Designsystem als gemeinsame Sprache
Das etablierte Designsystem erwies sich als entscheidender Effizienztreiber. Indem es die grundlegenden UI-Fragen klärte, schuf es den Freiraum für mich und die Entwickler, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren: die korrekte Implementierung der komplexen User Flows und der Prüflogik der Sachbearbeitenden.

Herausforderung: Statische Flows können keine Verhaltenslogik abbilden
Als ich erkannte, dass statische Mockups nicht ausreichten, um die dynamische Verhaltenslogik zu vermitteln, initiierte ich kurze, tägliche ‚Daily-Design-QA-Sessions‘ mit den Entwicklern. Dabei ging es nicht um Kritik an ihrer Arbeit, sondern um ein kollaboratives Forum, um sicherzustellen, dass die Interaktionslogik und das ‚Look & Feel‘ der Experience den Nutzerbedürfnissen entsprachen. Diese einfache Prozessänderung reduzierte den Nachbesserungsaufwand drastisch und schloss die Lücke zwischen der Design-Intention und dem finalen Code 

Lerneffekte:

Der Code ist der finale, wahrhaftige Prototyp der User Experience. Meine Rolle ist es nicht, einen “Bauplan” abzuliefern, sondern die Umsetzung der Nutzererfahrung zu begleiten. Dieser Wandel von der Dokumentation hin zum kontinuierlichen, interaktiven Dialog über die umgesetzte Erfahrung war der Schlüssel, um den hochwertigen MVP im ambitionierten Zeitrahmen zu liefern und zwar wie die Nutzer ihn erwarten – intuitive, fehlertolerant, und konsistent.

Resultate & Ausblick

Der MVP wurde innerhalb des ambitionierten Zeitrahmens von sechs Monaten erfolgreich ausgeliefert. Dieser Erfolg und die hohe Zufriedenheit des Kunden führten zur direkten Folgebeauftragung und den schrittweisen Ausbau des Portals.

Bereits in ersten Pilotkommune zeigten die nutzerzentrierten Neugestaltung eine signifikante Wirkung:

  • Die Zahl unvollständiger oder fehlerhafter Anträge ging signifikant zurück.

  • Die Behörden wurden durch eine spürbare Reduzierung klärender Anrufe und E-Mails entlastet.

  • Die Bearbeitungszeit pro Antrag wurde massiv verkürzt. So konnte die Zeit für einen Kernprozess von durchschnittlich 30 Minuten auf wenige Minuten reduziert werden. Dies wurde unter anderem erreicht, indem der Bearbeitungsaufwand auf bestenfalls nur 37 Klicks gesenkt wurde.

Der erfolgreiche MVP ist nur der erste Schritt. Die skalierbare Architektur der Fachanwendung und das etablierte Designsystem bilden die Grundlage für den zukünftigen, bundesweiten Rollout. Nächste strategische Schritte umfassen die Anbindung weiterer kommunaler Fachverfahren und die Erweiterung des Portals um zusätzliche Aufenthaltstitel und Dienstleistungen, um Deutschland dem Ziel einer vollständig digitalisierten Verwaltung näherzubringen.

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